Berufsunfähigkeit: Viele Risiken, wenig Absicherung
Warum die Berufsunfähigkeitsversicherung ein Schattendasein führt und was man dagegen tun kann.
Beim Round Table des VersicherungsJournals analysierte eine hochkarätige Expertenrunde die Ursachen, warum die Berufsunfähigkeitsversicherung in Österreich noch immer ein Schattendasein führt. Lösungsvorschläge liegen auf dem Tisch.
Seit jeher führt die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU-Versicherung) in Österreich ein Schattendasein. Und das, obwohl das Risiko steigt und die staatliche Versorgung mehr als nur zu wünschen übrig lässt. Grund genug für uns, sich im Rahmen eines Experten-Round-Tables mit der Frage zu beschäftigen, welche Aktivitäten Versicherer ergreifen, um die Marktdurchdringung der Berufsunfähigkeitsversicherung zu erhöhen.
Der Gesamtmarkt stagniere, weil das Bewusstsein für das Thema Berufsunfähigkeit häufig fehle, so Hannes Dillinger, Leiter Bankenvertrieb und UAV-Personenversicherung bei der Generali Versicherung. Nach wie vor würden zu wenige BU-Versicherungen verkauft, ergänzt Willi Bors, Direktor Österreich der Dialog Lebensversicherung. Dazu komme, dass in Phasen wirtschaftlicher Unsicherheit, angespannter Haushaltsbudgets und gestiegener Kosten der Fokus oft nicht auf der Absicherung der Arbeitskraft liegt, so Markus Zahrnhofer, Vorstandsmitglied der Merkur Lebensversicherung. Allerdings sei die wirtschaftliche Lage nicht allein verantwortlich, betont Christian Kaspar, Vertriebsleiter Österreich der Janitos Versicherung. Was fehle, sei Unterstützung für die BU-Versicherung von Seiten des Staates.
Wo die Ursachen liegen
Häufig wird beklagt, dass die Produkte der Berufsunfähigkeitsversicherung zu „kompliziert“ sind, aber auch für den Vertrieb sei es oft schwierig, das unerfreuliche Thema Berufsunfähigkeit anzusprechen. Wir haben versucht herauszufinden, wo Experten Verbesserungsbedarf orten.
Es sei wichtig, dass Versicherungsberater das Thema im Rahmen der Risikoanalyse ansprechen und dem Kunden die Bedeutung der Berufsunfähigkeitsvorsorge vermitteln, betont Zahrnhofer. BU-Produkte seien allerdings kompliziert, es bedürfe daher eines kompetenten Außendienstes oder Maklervertriebs, um dem Kunden zu erklären, warum die BU-Vorsorge wichtig ist und was er eigentlich erhält, so Kaspar. Vor allem junge Vermittler würden das Thema aber bereits aufgreifen, so Bors.
Das Thema werde in der Gesellschaft nicht wahrgenommen, analysiert Dillinger. Die meisten Menschen in Österreich würden nicht wissen, was es heißt, wirklich berufsunfähig zu werden und welche finanziellen Folgen es dann gibt. Dazu komme, dass es von staatlicher Seite faktisch keine Berufsunfähigkeitsversicherung mehr gebe. Es traue sich aber in Österreich keiner zu sagen, dass Herr und Frau Österreicher eben auch privat vorsorgen müssen.
Wie man die Risiken darstellen kann
Bereits seit langem wird darauf hingewiesen, dass hierzulande das Risiko der Berufsunfähigkeit und der Versorgung im Fall des Falles falsch eingeschätzt wird. Wir haben die Experten gefragt, ob es sinnvoll wäre, den Menschen die Folgen einer Berufsunfähigkeit – ähnlich den Warnhinweisen auf Zigarettenpackungen – drastisch vor Augen zu führen.
Genau das versuche die Dialog, wie Bors erzählt. In Zusammenarbeit mit Maklern sowie Verkaufs- und Neuropsychologen habe man den sogenannten BU-Simulator ins Leben gerufen, der deutlich vor Augen führt, „was passiert, wenn etwas passiert“. Es gehe darum, die Emotionen anzusprechen und nicht nur mit Zahlen und Fakten zu argumentieren.
Einen ähnlichen Weg geht die Generali. Man nehme zu Maklerveranstaltungen auch betroffene Menschen mit, die erzählen, wie sie berufsunfähig wurden und was die Folgen gewesen sind, so Dillinger. Da könne man erkennen, dass das Thema nicht nur graue Theorie ist, sondern praktische Folgen hat.
Aber auch Daten des Pensionsanspruchs sowie Hochrechnungen betreffend eine BU-Lücke können dem Kunden drastisch vor Augen führen, worauf er im Anlassfall konkret verzichten muss, betont Zahrnhofer. Zusammen mit einer Haushalts- und Ausgabenanalyse können diese Daten zeigen, welche heutigen Ausgaben im Falle einer Berufsunfähigkeit nicht mehr gedeckt sind.
Wie werben für die BU-Versicherung?
Die Geschichte hinter einer BU-Versicherung lasse sich sehr gut erzählen, ist Zahrnhofer überzeugt: „Jeder hat Ziele, Wünsche und Träume. Um diese umzusetzen, hat man einen Plan, der in der Regel auf einem Erwerbseinkommen basiert. Was passiert jedoch, wenn dieser Plan A nicht funktioniert, weil man nicht mehr oder nur mehr eingeschränkt in der Lage ist, seinen Beruf auszuüben? Dann braucht man einen Plan B.“
Angesichts der vielen Multikrisen und schlechten Nachrichten der letzten Zeit sieht Kaspar Werbung für die BU-Versicherung aber kritisch: Wer soll es den Menschen erklären, dass auch die soziale Absicherung schwächer geworden ist und sich die Sozialversicherungsträger aus ihrer Verantwortung zurücknehmen? Ähnlich Bors: „Jetzt erneut mit einem dramatischen Thema an den Kunden heranzutreten, nämlich mit der BU, ist sehr schwierig. Im schlimmsten Fall muss man bei einer Berufsunfähigkeit ja seine eigenen Vier-Wände aufgeben – das ist medial kaum darstellbar.“
„Ich sehe das differenziert punkto Werbung“, sagt dagegen Dillinger. Natürlich sei es ein schwieriges Thema, das gelte aber für alle Versicherungen, Unfälle und Krankheiten seien auch nicht schön. Man müsse in der Werbung klar machen, welche Serviceleistungen eine Versicherung bietet.
Die Rolle der Prävention
Aber natürlich wäre es am besten, Berufsunfähigkeit überhaupt zu verhindern – doch können Versicherungen überhaupt etwas zur Prävention beitragen? Möglichkeiten dafür sehen die Experten viele. So biete die Generali ein Vorsorgecoaching an, um Leistungsfähigkeit und mentale Fitness zu erhalten. Und „Job Coaching“ biete im Fall des Falles bei einer Wiedereingliederung in einem ähnlichen oder sogar dem gleichen wie dem zuvor ausgeübten Beruf Unterstützung. Auf die Bedeutung psychischer Erkrankungen verweist Zahrnhofer: die Merkur Lebensversicherung entwickle ihr Angebot für Prävention auch in der BU-Versicherung stetig weiter. Eine weitere Möglichkeit, Prävention zu fördern, biete sich an den Schulen. Für Kaspar wäre es wichtig, dass Versicherer in den Schulen vortragen dürften, wobei Prävention und gesünderes Leben selbstverständlich auch Thema sein müssten. Jungen Menschen eine Zukunftsperspektive zu bieten und dafür zu sorgen, dass sie wieder mehr Freude am Leben haben, würde vermutlich auch zu einer Abnahme der psychischen Probleme führen, betont Bors.
Notwendig sei ein Schulterschluss zwischen dem Staat, den Familien, den Schulen und natürlich auch der Versicherungswirtschaft, so Dillinger abschließend: „So müssten wir dieses Thema angehen – wenn wir das schaffen, dann haben wir schon sehr viel erreicht.“